Bhagavan Sri Ramana Maharshi


Ramana Maharshi


Ich habe so manches Mal darüber nachgedacht, welchen Sinn seine vielen Reisen nach Indien hatten. Als er 1967, das sind mittlerweile 56 Jahre her, zum ersten Mal durch Indien reiste, waren es die Fremde, die Ferne und das Unbekannte, die ihn magisch anzogen. Es war das Reisen selbst, das ständige Aufbrechen und Weiterziehen. Es war die Faszination des Erlebens, das meist wenig zu tun hatte mit Begreifen und Verstehen. Diese vielen Bilder und Filme in dieser fremden Welt begeisterten ihn und zogen ihn noch über Jahre in ihren Bann. Sie wirkten auf ihn wie ein Sog, doch hatte er keine Ahnung, was das alles mit ihm zu tun haben sollte. Heute weiß ich etwas mehr darüber.

Ramana, wie er Bhagwan Sri Ramana Maharshi einfach nannte, wurde zu einer Symbolfigur, die für ihn in den verschiedenen Lebensphasen ganz unterschiedliche Bedeutung haben sollte. Ramana deckte so viele Bereiche in seinem Leben ab, die nie fragten ob sie auch gefielen; sie waren einfach da, erträglich und genüßlich aber auch schmerzvoll und schier unerträglich. Ramana wurde zum Richtungsweiser zu ihm selbst. Dies habe ich jedoch erst sehr viel später wahrgenommen und erfahren. Ja, es war eigentlich ganz einfach und hat doch so lange gedauert. Und immer wieder wirkt Ramana als Medium für schöne und schmerzvolle Erfahrungen.

Ramana begegnete ihm schon, als er 16 Jahre alt war. Damals nahm er aus einem Buch seines Klassenkameraden ein Bild an sich, das den Titel trug: "Das Urbild des Guru". Das Gesicht des Mannes auf dem Bild hatte auf ihn eine intensive Ausstrahlung, und es wurde für ihn zum Sinnbild eines Erleuchteten, was immer er darunter verstand. Dieses Bild begleitete ihn auf allen seinen Wegen und Bewegungen auf diesem Erdball. Auch in Mexiko, wo wir heute leben, hat es seinen Platz gefunden.

Daß zu dem Gesicht auf dem Bild auch ein Name gehörte, erfuhr er erst sehr viel später auf einer seiner zahlreichen Indienreisen in Madurai: Wieder einmal umringt von neugierigen Personen, die auf englisch ihre Standardfragen an ihn stellten, ließ er sich auf ein Gespräch mit einem Mann ein, der ihn zu einem kleinen Ashram führen wollte. Trotz der üblichen Bedenken, fremde Personen zu unbekannten Zielen zu begleiten, ging er mit. Was dann geschah, war so ungeheuerlich, daß es ihn völlig sprachlos machte. Plötzlich stand er vor einem etwa zwei Meter hohen Foto, auf dem sein "Erleuchteter" abgebildet war; dasselbe Bild, das er seit seiner Schulzeit mit sich herumtrug. Das Gefühl, das ihn durchfuhr, war kaum zu kontrollieren; es war eine Mischung aus Begeisterung und Erschrecken. Und es kam noch besser: In Tiruvannamalai gibt es den Ashram von Ramana Maharshi, Sri Ramanasramam. Beglückt und aufgeregt zugleich entschloß er sich, mit dem Bus nach Tiruvannamalai zu fahren. Dies war sein erster Besuch im Sri Ramanasramam.

Es geschah Jahre später im Sri Ramanasramam während seines dritten Besuches; eigentlich galt der Besuch mehr Helga als dem Ashram, die ihr Häuschen gleich neben dem Ashram hatte, wohin sie nach der Trennung von Ehemann und Kindern gepilgert war, ein Stück Flucht und Rückzug und ein Stück Befreiung und Öffnung. Tagelang hatte er in ihrer bequemen Hängematte, die aus Auroville stammte, Taschenbücher von Castańeda gelesen und war völlig versunken in die fremden und doch so vertrauten Welten, hier und dort. Helga meinte, es wäre schön, wieder einmal zum Erdbeereisessen nach Pondicherry, wo sich auch der Ashram von Sri Aurobindo befindet, zu fahren. Daß der Wasserspiegel des Tanks, der zu dem kleinen Ganesha Tempel neben ihrem Häuschen gehörte und den sie liebevoll pflegte, von Tag zu Tag sank, bereitete ihr eigentlich nur dann Probleme, wenn sie sich vorstellte, daß ihre Kinder aus Berlin zu Besuch kommen könnten. Die Mutter, die ihre Familie verlassen hatte, sorgte sich weiter um ihre Kinder, wie es Mütter eben so oft tun. Ich empfand ihre Regungen eher als Erleichterung, weil ansonsten im und um den Ashram herum eher wenig Zugeständnisse an die Belanglosigkeiten des Alltags gemacht wurden. Heilige und Scheinheilige waren darum bemüht, sich gegenseitig die Jünger abzujagen. Auch unter den "Erleuchteten" macht das Spiel um die und mit der Macht offenbar nicht halt. Konkurrenzdenken und -handeln kennt eben keine Grenzen. Das war genau das Richtige für ihn, der eher etwas eigensinnig seine Position als Betrachter des Geschehens beibehalten wollte. Nur zu den Mahlzeiten teilte er stumm die Gesellschaft der anderen "Pilger, Wanderer und Suchenden".

Ja, und eines Tages geschah es dann; es muß April 1981 gewesen sein. Er hatte sich einige Bücher aus der Bibliothek des Ashram ausgeliehen, darunter auch "I AM THAT", Gespräche mit Sri Nisargadatta Maharaj, ins englische übersetzt von Maurice Frydman. Er begann zu lesen und konnte nicht mehr aufhören, bis er beide Bände verschlungen hatten. Doch es war nicht dasselbe Lesen, wie er es sonst erfahren hatte; es war Lesen, Erleben und Erfahren in einem einzigen Atemzug. Alles schien auf einmal zu stimmen. Alles paßte plötzlich zusammen. Alles war durchflutet von Einvernehmen und Einverstandensein. Alles war EINS geworden, keine Trennung mehr, keine unauflöslichen Widersprüche und keine nagenden Zweifel. Die Fragen nach dem Sinn stellten sich erst gar nicht mehr. Es gab keine Fragen mehr, die nach Antworten hungerten. Die Sensation war so stark, daß er voll von ihr ergriffen und erfüllt wurde.

Nachdem er die Bücher zu Ende gelesen hatte, stand seine Abreise nach Bombay, wo Nisargadatta lebt, fest.

Erst später wurde mir klar, daß auch dieser Schritt noch erforderlich war.

Bereits bei seiner Abreise aus Bombay zurück nach Hamburg stand fest, daß sein Reisen nach Indien zu einem Ende gekommen war. Zwar war es für ihn immer irgenwie klar gewesen, daß er nicht auf der Suche war, doch für Begegnungen war er stets offen. Es war ihm auch klar, daß man nicht etwas finden kann, was man gar nicht verloren hat.

Das klingt alles so einfach, und genau so einfach habe ich es auch erleben können, doch war die Zeitspanne zwischen Hören, Verstehen und Erfahren recht lang.

Was er in dem Zimmer erlebte, in dem Nisargadatta Besucher empfing, ist sicher schon vielen vor ihm widerfahren, was jedoch nichts an der Einzigartigkeit, die diese Begegnung für ihn hatte, änderte. An vier aufeinander folgenden Tagen stieg er die enge Holztreppe zu dem winzigen Raum der kleiner Wohnung im Stadtteil Khetwadi in Bombay hinauf, um eine Stunde lang die Gegenwart von Nisargadatta zu erleben. Aufgrund einer fortgeschrittenen Krebserkrankung war er stark abgemagert, das Sprechen fiel ihm schwer, und seine Hände zitterten, wenn er sich etwas Wasser in den Mund fließen ließ. Er empfing Besucher nur noch eine Stunde am Vormittag und eine Stunde am Nachmittag.

Ich erhielt meinen Platz; sehr genau wurde darauf geachtet, daß Männlein und Weiblein voneinander getrennt saßen. An der Wand war ein großes Photo von Ramana; ich war ganz eigentümlich berührt davon. Alles paßte irgenwie zusammen und machte Sinn, ohne wirklich Sinn zu haben. Nisargadatta schaute mich mit seinen stechenden und durchdringenden Augen an und fragte, wie ich zu ihm gekommen sei. Ich erklärte es ihm, und er entgegnete:"Mach keine Reklame für mich"; er bekam einen Temperamentsausbruch und lachte laut. Immer wieder schaute er mich an und sprach zu mir. Am vierten Tag meinte er, ich solle für die Meditation die Worte "ich bin" benutzen. Fast beiläufig bemerkte er, der Guru sei in mir, und ich könne jetzt gehen und solle den Dingen nachgehen, die auf mich warten.

Am kommenden Tag flog ich zurück nach Hamburg. In mein Tagebuch schrieb ich:

Ich empfinde eine große Erleichterung und Befreiung. Es gibt dieses Zwanghafte nicht mehr. Es kann sein, aber es muß nicht sein. Viel Spannung hat sich in mir gelöst. Keine Fixierung auf Zukunftsbilder; keine Sehnsucht, die sich auf eine verschwommene Zukunft richtet. Das Hier und Jetzt allein zählt. Doch es ist noch so schwer und verwirrend, eine Beständigkeit dieser erfahrenen und sehr persölichen Kraft in mir zu erreichen. Es gibt keinen Zwang - kein Erzwingen. Laß es einfach kommen - laß es einfach gehen - laß los. Und was bleibt: ICH BIN.



Ramana Maharshi


Here is the official WebPage
of Bhagwan Sri Ramana Maharshi
Sri Ramanasramam, Tiruvannamalai,
Tamil Nadu, India


Back to Good Spirits
Back to FrontPage JJPOnline 
© H&H 2024